5.1.2 Varikose und chronisch venöse Insuffizienz

Synonyme

CVI, venöse Insuffizienz.

Epidemiologie

17% der Erwachsenen und 37% der über 70-Jährigen leiden an einer CVI; 20% Frauen und 17% Männer.

 

Varikose bei 37% der Frauen und 19% der Männer.

Definition

Dilatation und Klappeninsuffizienz mit venöser Hypertonie im oberflächlichen Venensystem (= Vena saphena magna und/oder parva) mit oder ohne sichtbare Schlängelung der subkutanen Venen.

Aetiologie & Pathogenese

Die Varikosis kann zur chronischen venösen Insuffizienz führen.

 

Primäre Varikosis (95%): Risikofaktoren

  • genetische Disposition
  • Erhöhung des intraabdominellen Drucks (Adipositas, multiple Schwangerschaften)
  • stehende Arbeitsweise
  • Übergewicht
  • Rauchen

 

Sekundäre Varikosis (5%): postthrombotisch.

 

Tiefe venöse Insuffizienz: Dilatation und Klappeninsuffizienz führen zur venösen Hypertonie im tiefen Venensystem (= Venae fibulares/tibiales posteriores/tibiales anteriores/gastrocnemiae/ popliteae/femorales superficiales/iliaca externa). Die tiefe venöse Insuffizienz führt in der Regel zur chronischen venösen Insuffizienz. 

Symptome

Stammvarikosis der Vena saphena magna und/oder parva; Seitenastvarikosis; retikuläre Varikosis; Besenreiservarikosis.

 

Stadien einer CVI (nach Widmer)

  • Stadium I: corona phlebectatica paraplantaris (deutlich erweiterte Gefässe am Fussrand)
  • Stadium II: atrophie blanche, Hyperpigmentierung durch Ablagerung von Hämosiderin, Dermatoliposklerose, induriertes Ödem, Stasis Dermatitis, Ekzem
  • Stadium III: Ulkus (offen oder abgeheilt)

 

Weitere klinische Symptome: Schmerzen, Juckreiz, Gefühl der «schweren Beine».

 

Nähere Beschreibung der Symptome in der CEAP Klassifikation.

Lokalisation

  • Medialer distaler Unterschenkel im Verlauf der Vena saphena magna und der Unterschenkel-Perforatorvenen
  • Lateral retromalleolär und am lateralen Fussrücken bis zu den Zehen II-IV, entsprechend dem Verlauf der Vena saphena parva
  • Tiefe venöse Insuffizienz kann den ganzen distalen Unterschenkel zirkumferenziell betreffen („Gamaschenzone“)

Klassifikation

Internationale Klassifikation der chronisch venösen Erkrankungen (CEAP, clinical etiology anatomy pathophysiology)

 

  • Besenreiservarizen: Kutane Mikrovarizen bevorzugt an Unterschenkelinnenseiten und Oberschenkeldorsalseiten. Corona phlebectatica an den Fussrändern
  • Seitenastvarikose: Varikose einzelner oder mehrerer Nebenäste. Häufig asymptomatisch
  • Stammvarikose: Varikose der Vena saphena magna u./o. Vena saphena parva mit oder ohne Klappeninsuffizienz

Labor & Zusatzuntersuchungen

Bildgebende Techniken: Duplex Sonographie, Doppler Sonographie, Photoplethysmographie, Hyperspectral Imaging, Infrarot Thermographie.

Dermatopathologie

Üblicherweise nicht erforderlich; allenfalls bei Verdacht auf Kaposi-Sarkom oder anderen Gefässtumoren.

Verlauf

Chronisch über Jahre.

Komplikationen

Ulkus, Stauungsekzem u./o. (Kontakt-) Ekzem. Oberflächliche Thrombose, Blutung, tiefe Veneninsuffizienz.

Diagnose

Anamnese und Klinik, vaskuläre Screening-Abklärung (Verlauf der Varikosis), Knöchelarteriendruck und Knöchel-Arm-Index (=ABI) mit dem einfachen cw-Doppler, exakte Diagnostik mit dem Duplex-Ultraschall.

Differentialdiagnosen

  • Unterschenkelekzeme: allergisches Kontaktekzem, Exsikkationsekzem, nummuläres Ekzem, Dermatomykose, Psoriasis
  • Ulcus cruris: Venös (50%), gemischt venös-arteriell (20%), arteriell (5%), Ulcus hypertonicum Martorell (5%), grosse Restgruppe (20%)
  • Weitere: Kontusionstrauma mit subkutanem Hämatom, Infektion mit Ulzeration, Vaskulitis der Hautgefässe mit Ulzeration, Hauttumore mit Ulzeration, Pyoderma gangraenosum; Kongenitale Gefässmissbildung

Therapie & Prävention

Allgemeine Massnahmen: Beintraining mit aktiver Bewegung von Fuss und Unter- und Oberschenkel (Muskeltraining); Bewegung am Arbeitsplatz; Beinhochlagerung am Abend.

 

  • Varikosis:
    • Stammvarikosis: Chirurgie (Crossektomie und Stripping) oder endovenöse Verfahren (Radiofrequenz, endovenöser Laser).
    • Kleinerkalibrige Varizen: Chirurgie, Verödung, Laser
  • Chronische venöse Insuffizienz (CVI): Hauptmassnahme ist die Kompressionstherapie (mit Bandagen oder Strümpfen). Merke: 90% der komprimierbaren venösen Ulzera heilen unter konsequenter Kompressionstherapie ab. Cave: bei zusätzlicher AVK kann die Kompression kontraindiziert sein!
  • Bei Insuffizienz der V.saphena magna oder parva sowie deren Äste: chirurgische oder interventionell

 

Bei schwersten Formen der CVI: chirurgische Abtragung des dermatoliposklerotischen Hautmantels mit dem venösen Ulkus (Shave-Operation) und anschliessend Hautverpflanzung.

Bemerkungen

Bei jungen Männern mit ausgeprägter CVI an das Klinefeltersyndrom denken.

 

Bei i/v-Drogenkonsumenten mit ausgeprägter CVI an Hepatitis C denken.

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