Lues.
2.5.7 Syphilis
Synonyme
Epidemiologie
WHO-Schätzung 2016: 6 Millionen neue Fälle bei Erwachsenen zwischen 15-49 Jahre.
Europa: 6.1/100'000 pro Jahr; dazu Fälle mit Syphilis congenita.
Männer zwischen 25-34 Jahren 8x so häufig betroffen wie Frauen. Zwei Drittel der infizierten Männer sind homosexuell.
Definition
Vorwiegend sexuell übertragene Infektion mit Treponema pallidum.
Aetiologie & Pathogenese
Systemische Infektion mit Treponema pallidum, einem spiralig gewundenen, flexiblen, beweglichen Bakterium, welches nicht auf künstlichen Nährböden wächst und in der Lichtmikroskopie nicht sichtbar ist. Die Infektion erfolgt über kleine Haut- und Schleimhautverletzungen und verläuft in 4 Stadien.
Symptome
Die Syphilis wurde auch als «Affe» unter den Dermatosen bezeichnet, da sie viele Erkrankungen simulieren kann.
Syphilis Stadium I : Inkubationszeit 3 Wochen (10-90 Tage)
Regionale Infektion, Primäraffekt (PA) = erregerreiches indolentes hartes Ulkus (Ulcus durum) und Bubo (regionale nicht verbackene, nicht einschmelzende Lymphknotenschwellung). Spontanremission nach ca. 3 Wochen.
- Genitaler PA
- Männer: Glans, Vorhaut-Innenblatt, Sulcus coronarius
- Frauen: Labien, oder versteckt vaginal und cervical
- Extragenitaler PA: Oral, anal, Finger
Syphilis Stadium II: bei 30% der unbehandelten Patienten
- Hämatogene Aussaat: Erregerreiches Stadium mit Ausbreitung im ganzen Organismus 10 Wochen bis 2 Jahre nach Infektion bzw. nach Primäraffekt (Ulcus+Bubo)
- Klinik: Allgemeinsymptome wie Muskelschmerzen und Polyadenopathie, Roseola = diskretes, nicht juckendes makulöses Exanthem (selten pustulös, ulzerös bei Immuninkompetenz) am Stamm und palmoplantar (Clavi syphilitici, Palmoplantarsyphilid), Condylomata lata genital und intertriginös, Plaques muqueuses enoral, Angina specifica, Alopecia areolaris. Organbeteiligung (Hepatitis, Arthritis, Iridozyklitis, ZNS-Beteiligung und Syphilide (Haut-und Schleimhautbeteiligung).
- Spontanes Verschwinden aller Zeichen der Sekundärsyphilis nach Monaten, dann
- Rezidivexantheme bei 25% der unbehandelten Patienten: Papulosquamöse, psoriasiforme, akneiforme und andere Dermatosen nachahmende Formen ("la grande imitatrice"). Unspezifische Allgemeinsymptome und Organbeteiligung.
- Weiterer Verlauf: 67% der Patienten erleiden keinerlei klinische Manifestationen mehr nach Verschwinden der Syphilis II, 16% gehen in eine "benigne" Tertiärsyphilis über (Granulome, Gummata, Syphilis III), 10% cardiovaskuläre Syphilis, 7% Metalues (progressive Paralyse und Tabes dorsalis).
Syphilis Stadium III: selten; Entwicklung bei 10% der unbehandelten Patienten
- Kutan/subkutan Erregerarme, hyperergische, granulomatöse Manifestationen bei 25% der nicht behandelten Syphilitker, großflächige tubero-serpiginöse Syphilide, weiche Granulome "Gumma" der Zunge, Lippen, Gaumen.
- Gumma in parenchymatösen Organen (Leber, Niere)
- Kardiovaskuläre Beteiligung: granulomatöse Infiltration der Media der großen und mittleren Gefäße, Mesaortitis leutica mit Aneurysmabildung, Befall der Hirngefäße.
- ZNS- Beteiligung: Opticusatrophie, reflektorische Pupillenstarre ( Argyll-Robertson), Meningovaskuläre Veränderungen mit neurologischen Ausfällen.
Syphilis Stadium IV, Metasyphilis:
- 10-20 Jahre nach Infektion bei 6-7% der unbehandelten Syphilitiker. Extrem erregerarme Form.
- Neurologische Spätmanifestation mit Tabes dorsalis (Rückenmarksbefall mit Schmerzsyndromen und neurologischen Ausfällen) oder progressive Paralyse (Grosshirnbefall mit Persönlichkeitsveränderungen und neurologischen Symptomen).
Lues connata: Diaplazentare Infektion des Foeten
- Häufigkeit hängt ab vom Infektionszeitpunkt der Mutter:
Infektion der Mutter > 5 Jahre vor Konzeption < 20%
Infektion der Mutter 2-5 Jahre vor Konzeption ca. 25%
Infektion der Mutter < 2 Jahre vor Konzeption ca. 50% - Infektion des Foeten im ersten Trimenon: Abort und Totgeburt bei Infektion der Mutter bis 30. SSW oder schwere "Sekundärsyphilis" = Lues connata praecox: Hepatosplenomegalie (Feuersteinleber), greisenhaftes Aussehen, Coryza (entzündlicher Schnupfen), Pneumonia alba, Anämie, Parrot-Pseudoparalyse (Epiphysenlösung) und Lippenrisse (Parrot'sche Furchen).
Lues connata tarda ab 5. bis 20. Lebensjahr: Sichere Stigmata sind Sattelnase (Einbrechen des knöchernen Nasensattels), Säbelscheidentibia, Parrot-Furchen, Hutchinson-Trias (Tonnen-Zähne, Keratitis parenchymatosa, Innenohrschwerhörigkeit).
Lokalisation
Abhängig vom Stadium und vom Infektionsweg; siehe auch Symptome
- Stadium I: anogenital, oral oder an beliebiger Körperstelle in Abhängigkeit vom Kontakt; Vergösserung des drainierenden (ableitenden) Lymphknoten
- Stadium II: systemisch, generalisiert oder lokalisiert, generelle Lymphknotenvergrösserung (Lymphadenopathie): klein, nicht verbacken, hart
- Stadium III: systemisch, generalisiert oder lokalisiert, zentrales und peripheres Nervensystem, kardiovaskuläres System
Klassifikation
Stadien-Einteilung (siehe Symptome).
Labor & Zusatzuntersuchungen
In allen Stadien sind serologische Untersuchungen (Screening, Bestätigungsreaktionen, Verlaufsuntersuchungen, Therapieerfolgs-Test) erforderlich:
Stadium I: Direkter Erregernachweis in der Dunkelfelduntersuchung und Serologie nach 4-6 Wochen nach Infektion.
- Treponemale Tests (TT): TPPA, FTA-Abs., Syphilis ELISA (IgG o. IgM)
- Nicht Treponemale Tests (NTT): Venereal Diseases Research Laboratory test (VDRL) und der Rapid Plasma Reagin Test (RPR) werden 10-15 days nach Auftreten der ersten Symptome (Schanker/Ulkus) positiv, also etwa 6 Wochen nach Infektion. Sie bleiben oft auch nach erfolgreicher Behandlung einer früher durchgemachten Syphilis positiv
- Die Titer der NTT korrelieren mit der Krankheitsaktivität
Stadium II: Aus frühen Läsionen, Serologie
Stadien III und IV: Serologie, Liquor, evtl. Histologie bei Gumma
Liquordiagnostik Stad. II-IV bei neurologischen Symptomen
Syphilis-Suchtest -obligater Bestandteil der Schwangerschaftsvorsorge im 1. Trimenon
Serologische Methoden:
- Spezifischer Serologie, Bestätigungsreaktionen (Messung von AK gegen T. pallidum). Reaktiv = der Patient hatte oder hat Infektion mit T. pallidum, bleibt lebenslang reaktiv.
- Unspezifische Seroreaktionen, Therapieleitreaktionen (Messung von Ak gegen mitochondriale Zerfallsprodukte = Cardiolipin). Reaktiv = der Patient hat aktive und behandlungsbedürftige Infektion.
-Screening-Tests: TPPA, FTA-Abs., Syphilis ELISA (IgG o. IgM)
-Bestätigungs-Tests: FTA-Abs, IgM-Nachweis
-Verlaufskontroll-Tests: VDRL, FTA-Abs.
-Therapieerfolgs-Test: VDRL Titerreduktion oder Negativierung, vierteljährlich bis 1 Jahr nach Therapie.
Dermatopathologie
Üblicherweise nicht erforderlich. Im sekundären oder tertiären Stadium kann eine Biopsie sinnvoll sein zum Ausschluss verschiedener Differentialdiagnosen (siehe dort). Typisch für das lymphohistiozytäre Infiltrat in den Stadien II und III ist ein hoher Anteil polyklonaler (kappa und lamba Leichtketten) Plasmazellen.
Verlauf
Spontanheilungen möglich; auch durch unbewusste Antibiotikagabe bei anderen Infektionen. Unbehandelt fortschreitender Stadienverlauf (siehe Symptome).
Komplikationen
Co-Morbidität mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen ist häufig.
Klinisches Bild und Krankheitsverlauf können schwer sein: dissemierte ulzerative Hautläsionen, schwere Allgemeinsymptome, Neurosyphilis, Aortenaneurysma; Lues maligna bei immunsupprimierten Patienten. HIV-Infektion erhöht das Risiko zur Entwicklung einer Neurosyphilis und einer Augenbeteiligung.
Diagnose
- Ausführliche (Sexual-)Anamnese
- Klinische Symptome unter Berücksichtigung des Stadienverlaufs
- Dunkelfeld-Untersuchung
- Serologische Tests (Screening, Bestätigungsreaktionen, Verlaufsuntersuchungen, Therapieerfolgs-Test)
- Dermatohistopatholie bringt gelegentlich einen unerwarteten Überraschungsverdacht, der durch weitere Untersuchungen (Serologie) zu bestätigen ist.
Differentialdiagnosen
Stadienabhängig und extrem vielfältig, "Wer die Syphilis kennt, kennt die Medizin": genitaler Herpes. Bartholinitis bei Frauen. Exantheme verschiedener Genese (viral, Medikamente), Handekzem, papulosquamöse Dermatosen (Psoriasis guttata, Pityriasis rosea, Pityriasis lichenoides), kutane Pseudolymphome und maligne Lymphome.
Therapie & Prävention
- Forderung: 0.03 IE Penicillin pro Milliliter Blut über 2 Wochen (wegen langer Generationszeit von T. pallidum)
- Stadiengerechte Therapie:
Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio IE i.m.
Frühsyphilis (alle klinischen Formen bis 1 a post infectionem) einmalig
Spätsyphilis (Infektionszeitraum >1a oder unbekannt) 3x im Abstand von 7 Tagen
CAVE: Herxheimer-Reaktion und Hoigné-Phänomen - Bei Penicillinallergie Tetracycline 200mg/d oder Erythromycin 4 x 500 mg tgl. p.o. über 14 Tage bei Frühsyphillis; 21 Tage bei Spätsyphillis.
- Neurosyphilis: 18-24 Millionen Einheiten Penicilin-G per infusionem (3-4 Mill E alle 3-4 Stunden) tgl. über 14 Tage. CAVE: Jahrisch-Herxheimer-Reaktion! Prävention mit 50 mg Prednison p.o. am Tage -1 und 1 der Therapie.
Monitoring des Behandlungsfortschritts bzw. Erfolges mit NTT nach 1, 3, 6 Monaten bis zum negativ werden der Serologie oder Erreichen einer niedrigen Titerstufe (1:1 – 1:4).
Alle Fälle mit Syphilis sollten gemeldet und ein ausführliches Kontakt-Tracing durchgeführt werden.
Fälle
Podcasts
Tests
- Which of these statements apply to syphilis?
- Which is the standard treatment for uncomplicated primary syphilis?
- Which answer correctly describes the primary lesion in syphilis?
- Statement 1 Only advanced syphilis must be treated
- Statement 1 A Jarisch-Herxheimer reaction is most likely to occur in late primary syphilis or secondary syphilis
- Which statements are true?
- Which statements about Syphilis are true?
- Welches ist/sind wichtige Differentialdiagnose(n) zu einer Lues I?
- Entscheide bei folgenden Aussagen über Richtigkeit oder Falschheit.
- Folgende klinischen Veränderungen können im Rahmen einer Lues I (Primäraffekt) auftreten:
- Welche der folgenden Aussagen sind richtig?
- Aussage 1 Eine Herxheimer-Reaktion ist vor allem in späten Primär- oder in Sekundärstadien zu erwarten.
- Aussage 1 Eine Lues muss nur in fortgeschrittenen Stadien zwingend behandelt werden.
- Welche Antwort ist richtig? Die Primärinfektion einer Lues äussert sich typischerweise als:
- Welche Antwort ist richtig? Die korrekte Behandlung der unkomplizierten Lues I erfolgt am einfachsten mit:
- Welche der folgenden, die Lues betreffende Aussagen, trifft zu?
Kommentare
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